Addicted to….

Judith • 12. März 2022

Social Media? Krasser Trip.

Heute habe ich es wieder nicht geschafft. Wieder hab ich mein Versprechen gebrochen. Mir selbst gegenüber. Wieder so viel verlorene Zeit, verpufft im virtuellen Nirvana…

Minuten, ja, manchmal Stunden, die verschwunden sind, und nichts als ein schales Gefühl von Leere mit einem Hauch von süßlichem Parfüm in mir hinterlassen.


Aber: meine gute Absicht war es, die mich hierher geführt hat.

Es ist an der Zeit sichtbar zu werden, hat sie gesagt.

Du brauchst eine Plattform, hat sie gesagt.

Wie sollen Dich die Menschen denn finden? Du machst gute Arbeit, aber ohne das Netz findet Dich keiner, hat sie gesagt.

Ja, stichhaltige Argumente. Ich hab das auch direkt eingesehen.


Also hab ich mich in Social Media gestürzt wie andere in einem New York Trip. Ich hab gelesen, verfolgt, gelikt, kommentiert und gesurft bis tief in die Nacht.

Ich hab analysiert, gelernt, gestaunt und nachgemacht. Ich hab gezoomt. Gemeetet was das Zeug hält. Ich hab Onlinekurse besucht und mir wieder einen FB Account zugelegt. Insta, klar.

Das war wie ein Spielzeugladen, oder besser, wie Late Night Shopping im Pferdeoutlet, all die bunten Deckchen und Halfter und Bücher und Sättel, Schabracken….


Kurz, es war ein Rausch. Und wie es ein Rausch so an sich hat, er hinterlässt einen Kater. Und ein Zeitloch.

Unter dem Deckmantel der Guten Absicht (MARKETING!!) bin ich allmählich in das abgerutscht, was ich so sehr hasse, wenn meine Kids es tun: Ich hab mich in der virtuellen Welt verloren. Die Zeit, die ich dort verbringe, ist für meine Gefährten in der echten tatsächlich genau das: verloren.

Zeit, die ich nicht mit besagten Kids, meinem Liebsten, Freunden oder den Pferden verbringe. Vielleicht sind wir physisch in einem Raum, aber Nähe ist das keine. Jeder lost in seinem Universum aus Nullen und Einsen.


Meine Leidenschaft, mein Call, das ist Kommunikation! Und klar, die funktioniert auch in der virtuellen Welt, was es für mich doppelt reizvoll macht, dorthin abzutauchen.

Aber – um welchen Preis?


Jetzt, nach ein paar Monaten, in denen ich nach jahrelanger überzeugter Social Media Abstinenz, wirklich viel Zeit im Universum der Likes und Comments verbracht habe, ist mir klar: das ist auf Dauer nix für mein Gehirn. Dopamin ist ein geiles Zeug, ja. Es ist das ultimative Leckerli. So gesehen clickere ich zwar meine Pferd nicht, aber dafür mich selbst….

Däumchen und Herzchen, das sind meine Kekse. Yummie. Dummes Steinzeitgehirn!


Also lese ich jetzt (im Netz, wo sonst) alles mögliche über Social Media Sucht, über Dopamin, über Abhängigkeiten. Oh, auf fb gibt es Selbsthilfegruppen. Yeah. Du merkst schon. Gute Absicht und so….

Sucht mit dem Suchtmittel kurieren? Selbst in meinem dopaminbenebeltem Zustand erscheint mir das nicht wirklich sinnvoll.

So what? I am fucking distracted….


Serien auf Netflix, Likes auf fb, Kommentare, die meinem kleinen gefrässigen inneren Keksjunkie schmeicheln.

Also – kein Marketing mehr für mich über diese Medien? Wie sollen dann all die tollen realen Klienten den Weg zu mir finden?

Ich buche ein Coaching. In mir drin sitzen wir alle um einen runden Tisch – King Arthur und so.


Der dopaminverseuchte Facebookjunkie hat sich die schwarze Kapuze übers blasse Gesicht gezogen, nur ein paar lila gefärbte Haarspitzen lugen darunter hervor. Ich wette, sie hat die Kopfhörer noch auf. Da hinten, die Hände adrett gefaltet und tadellos gekleidet, die Suchtbeauftragte, die heute ihren Vortrag vor versammelter Mannschaft halten möchte. Und hier, die verwirrte Coachin, die doch nur ihr wertebasiertes Marketing sichtbar machen wollte und sich ansonsten lieber in der realen Welt mit realen Menschen beschäftigt.


Die besorgte Mama,die nervös auf den Tisch trommelt und nur zuhört, weil sie sich Tipps für die Kinder erhofft.

Und der Beobachter, wie immer in schwarz und mit Sonnenbrille. Stopp. Hey, schicker Ledermantel, Matrixstyle. Der ist neu.

Die Pferdefrau im Winterschlaf schnarcht verhalten.

Die Suchtbeauftragt erzählt von ihren Recherchen. Quelle: das Netz. Verhaltenes Kichern vom Junkiemädel. Die hört was? Cool.

Als die Dopaminexpertin ihren Vortrag beendet hat, schweigen alle. Gelangweilt, betreten, nervös.

Und was wird aus meinem Marketing? Die Coachin sieht etwas blass um die Nase aus.

Wie kann ich den Kindern da raus helfen? Die Mama klingt müde. Der Beobachter schreibt- auf einem iPad. Eh klar. Ich vermute ja, er checkt heimlich seine Likes auf insta.

Die Pferdefrau hat ungeniert ihren Kopf auf die Tischplatte sinken lassen und schmatzt im Schlaf.

Die Suchtbeauftragte sieht uns der Reihe nach streng an.


Entzug sagt sie, und ihre Stimme ist Stahl. Schluß mit dem Nebel hier drin.

Die Coachin seufzt. Aber ich möchte das bitte erst mal verstehen, wirft sie ein.

Die Mama findet Entzug super, aber bitte sanft. Der Beobachter hat glücklich glasige Augen. What the hell liest der da?

Das Junkiemädel wippt im Takt mit den Füßen, und glotzt grenzdebil auf ihr Handy.

Die Pferdefrau hat sich mittlerweile unter dem Tisch zusammengerollt.

So geht doch kein Coaching, was seid ihr denn für Anfänger!

Ein lautes Klappern lässt alle zusammen fahren, es kracht poltert, knirscht…

wie kann es in mir drin so laut sein?


Die Wand zerbirst. Licht fällt in den Raum. Gleißendes, helles Sonnenlicht.

Irgendetwas hat ein riesiges Loch in meinen inneren Konferenzraum gerissen, verdammt!

Oder sollte ich besser sagen, getreten? Da draußen im Sonnenschein, auf einer knallbunten Wiese steht ein Pferd. Ein riesenhaftes, fuchsrotes Pferd. Ein beänsgtigend, fuchsrotes, leuchtendes Pferd, wie aus Flammen gemacht. Seine Hufe sind kohlschwarz und es schickt sich an, ein weiteres Loch in die Wand zu treten. Die Konferenzteilnehmer sind aufgesprungen. Die Coachin tritt die schnarchende Pferdefrau unsanft. Pferd! schreit sie so laut sie kann.


Die Pferdfrau springt schlagartig und erstaunlich behende auf die Füße.

Das Pferd dreht sich jetzt herum, aus seinen Nüstern schlagen Flammen und seine Augen sind glühende Kohlen. Es schnaubt ungeduldig und scharrt in den Trümmern der Wand. Oh mein Gott. Es wird alles kaputt machen.

Das Junkiemädel filmt mit dem Handy. Die Mama hat einen Stuhl abwehrend gepackt. Der Beobachter hat sich auf einen sicheren Beobachtungsposten in der hinterletzten Ecke zurückgezogen. Sein Mund steht unvorteilhaft offen. Die Suchbeauftragte droht dem Pferd mit einer Flasche Fliegenspray. Die Coachin lächelt versonnen und schickt sich an, nach draußen zu klettern.


Die Pferdefrau, jetzt ganz da, geht mit leuchtenden Augen auf das Pferd zu. Ich kann sehen, wie sie anfängt zu strahlen, sie scheint zu wachsen, wird eine Königin, ein gekröntes Farbenspiel aus Feuer und Licht und…sie berührt das Flammenpferd.

Der Raum implodiert. In mir wird es dunkel. Universumsdunkel. Rabendunkel. Geburtsdunkel.

Meine Anteile sind fort. Ich bin mit mir allein in der Dunkelheit. Als ich meine Hand austrecke, berühe ich etwas samtig weiches, zartes…ein leises Schnauben dicht an meinem Ohr. Eine Pferdenase ist mit mir in der Dunkelheit! Mit der Erkenntnis kehrt das Licht zurück.

Allmählich kann ich die Umrisse des Pferdes erkennen. Halte Dich an mich, höre ich klar und deutlich. Halte dich einfach fest. Fell, Mähne, Wärme. Hufe. Augen. Zähne. Licht. Sonne. Sand. Pferdemist.


Ich schlinge meine Finger in die lange fuchsrote Mähne und halte fest. Die Strähnen schneiden in meine Hand, als mich das Pferd mitzieht. Erst spüre ich meine Füße nicht. Aber dann höre ich seine Hufe, und der Klang der Bewegung gibt mir Kraft. Meine Füße beginnen sich im Gleichtakt zu bewegen und wir laufen. Wir laufen! Ich kann laufen!

Immer schneller, bis wir galoppieren, und ich fühle mich lebendig, so lebendig!

Kilometer später bleibt das Pferd stehen, und dreht sich aprupt nach mir um. Raus jetzt, sagt es mit dieser Universumsfeuerstimme. Raus jetzt und ab in den Stall!!


Ich bin zurück. Unsanft ausgespien aus meinem Innern. Finde mich vor dem Rechner wieder. Sehe meinen Händen zu, wie sie die Worte tippen. Shift. Das sagt ja jetzt jeder so trendy.

„Und dann gab es einen Shift“.

Mindshift.


Mein shift – Horseshift.

Ich werde jetzt aufhören zu schreiben. Ich werde jetzt meine Medizin nehmen, die gegen alles Übel hilft, und offenbar auch gegen Social Media fucking Dopaminsucht.


Ich werde jetzt raus gehen, in den Schnee, im Dunkeln, und mir 10 reale Minuten bei meinen Pferden gönnen. Ich werde meine Nase hinter Alis Ohr in sein Fell stecken und den wunderbarsten Duft der Welt einatmen, ich werde mit Jamie etwas Heu teilen und Farah die Decke zurecht ziehen, ich werde Thorin erlauben, meine Hand abzuschlecken und mich über Sissis freundliches Begrüßungsgrummeln freuen.



I am addicted. Ja. Und first and forever- to horses.

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